Drama und Tragik

Geschichten und Erzählungen schaffen ein Gemeinschaftsgefühl.

Oft erlebe ich, dass Autor_innen eine Botschaft in ihren Texten mitgeben möchten - einen Leitsatz, einen Rat, die Moral von der Geschicht. Dabei muten Autor_innen ihren Figuren viel zu, zu viel. Da sind kindliche Hauptfiguren, die ihre Eltern verlieren, der beste Freund lügt, der gute Onkel ist gewalttätig, der Hund stirbt … uff! Ich verstehe die Absicht, dass man Spannung aufbauen will, die Figur ins Handeln bringt, um daran eine innere Entwicklung zu zeigen. Doch Achtung bei zu viel Fallhöhe!

Gerade bei Kids zwischen 5 und 8 Jahren müssen Vorlesegeschichten oder Erstbücher bezüglich Spannung wohl dosiert sein. Selbstverständlich dürfen die Figuren auch schmerzhafte Erfahrungen machen - so ist ja auch das echte Leben, doch gib den Leser_innen auch Momente zum Aufatmen, Durchatmen und Lachen. Es passieren auch gute Dinge im echten Leben.

Wenn du dramaturgisch arbeitest, frage dich, ob es die “Schicksalsschläge” wirklich braucht.

  • Wie willst du die Krankheit/ den Tod/ den Verlust aufgreifen und verarbeiten?

  • Welchen Erzählstil wählst du, damit auch Distanz möglich ist?

  • Was bleibt als Essenz bzw. Resonanz in der Kinderseele zurück?

  • Welches “Fenster” öffnest du, damit Trost und Zuversicht möglich sind?

Märchen und Mythen haben eine große Kraft

Und was ist mit den brutalen Märchen wie Brüderchen und Schwesterchen, Aschenputtel und Schneewittchen?
Märchen und mythologische Erzählungen haben eine große Kraft, denn: Es geht in irgendeiner Form gut aus!
Meistens schafft der Erzählstil eine (wohltuende) Distanz und ist keine Ich-Erzählung im Präsenz. Ich liebe Märchen und ich glaube, die größte Trauer empfand ich als Kind bei der kleinen Meerjungfrau. Ich muss 8 Jahre alt gewesen sein und hatte Andersens Märchen gelesen. Ich habe geweint und ging im Garten spazieren, um meine Aufruhr in den Griff zu bekommen. Ich überlegte mir ein anderes Ende, konnte mich aber nicht selbst täuschen. Das Ende der kleinen Meerjungfrau war richtig. Es wäre nicht anders denkbar gewesen. Dass sie sich in Schaum auflöste, war die logische Konsequenz ihrer Liebe und Treue. Das hätte ich als Kind nicht so in Worte fassen können, aber ich spürte, dass Liebe zu so viel fähig ist. Liebe ist leidensfähig.

Wenn du mit schmerzhaften Themen arbeitest, sei dir deiner Absicht bewusst und bedenke, was Kinder kognitiv und emotional verarbeiten können.
Pack die kleinen Leser_innen auch nicht in Watte, denn deine Geschichte soll ja das echte Leben in einer Facette widerspiegeln - egal ob Verlust, Abschied oder Schmerz.
Es braucht viel Geschick, um die Lösung nicht einfach zu präsentieren oder einen Ratschlag zu geben.

Beispiel: Wenn das Vögelchen in deiner Geschichte stirbt, tröstet es das Kind nicht, wenn es erfährt, dass der Vogel sowieso irgendwann gestorben wäre, dass man nicht traurig sein muss, dass es einen neuen Vogel bekommen kann.

Was tröstet in diesem Moment wirklich?

Welche Strategie könnte das Kind entwickeln?

Wo findet das Kind Verbündete und Gefährten?

Egal, wie tragisch deine Geschichte ist, lass sie versöhnlich und friedlich enden, denn das ist die Kraft von Erzählungen.



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